Was einer alleine nicht schafft, das schaffen viele“.
Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888) und Hermann Schulze-Delitzsch (1808–1883).

Auf dieser Grundidee ihrer Gründungsväter basiert das Genossenschaftswesen . Man könnte diese Idee modern auch als Networking bezeichnen.

Genossenschaften begegnen uns im täglichen Leben in zahlreicher Form:

  • Jeder kennt in seiner Nähe Genossenschaftsbanken (z.B. Volks- und Raiffeisenbanken, Spardabanken, PSD-Banken, BadischeBeamtenBank, Ärzte- und Apothekerbank etc.).
  • Auch Wohnungsbaugenossenschaften dürften viele aus ihrem unmittelbaren Umfeld kennen.
  • Im Handel begegnen uns zahlreiche Genossenschaften (z.B. Neuform eG (= Gen. d. Reformhäuser), Vedis eG (Gen. d. Spielzeughändler), Intersport, etc.).
  • Ferner existieren gerade im und um die Landwirtschaft zahlreiche Genossenschaften (z.B. Agrargenossenschaften, Winzergenossenschaften, Obst- und Gemüsegenossenschaften, Raiffeisenwarengenossenschaften, Genossenschaftsmolkereien, Milcherzeugervereinigungen, etc.).
  • Aber auch in „modernen“ Geschäftsfeldern findet sich die Rechtsform der Genossenschaft (z.B. werden die „.de-Domänen“ von der Denic eG verwaltet; die Steuerberater arbeiten überwiegend mit IT-Lösungen der DATEV eG; in den vergangenen Jahren sind zahlreiche Bürgerenergiegenossenschaften entstanden; im Gesundheitswesen entstanden Ärzte- und Gesundheitseinrichtungen in der Rechtsform der eG)

Eine Genossenschaft ist ein Zusammenschluss von mindestens drei natürlichen und / oder juristischen Personen. Sie ist gemäß § 1 GenG eine Gesellschaft von nicht geschlossener Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern (sog.: genossenschaftlicher Förderauftrag). Auch ein sozialer und gemeinnütziger Zweck ist möglich. Die Genossenschaft ist eine juristische Person und entsteht durch Eintragung ins Genossenschaftsregister (= eG).

Besonders für Kooperationen mittelständischer Unternehmen ist die Rechtsform der Genossenschaft interessant. Es besteht die Möglichkeit, sich mit anderen Unternehmen zusammenzuschließen, um gemeinsame Geschäftsbereiche wie Einkauf, Vertrieb, Marketing, Verwaltungsaufgaben etc. zu organisieren.

Das Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, kurz Genossenschaftsgesetz oder GenG, trat in Deutschland zum 1. Oktober 1889 in Kraft. Es wurde verschiedentlich novelliert, insbesondere 1973, 2006 und ganz aktuell im Juli 2017.

Schwerpunkte der GenG-Novelle 2006 waren:

  • Es sind für die Gründung nur noch drei statt bislang sieben Mitglieder ausreichend.
  • Genossenschaften können jetzt auch kulturelle und soziale Zwecke verfolgen
  • Es wurden Sachgründungen zugelassen.
  • Es darf jetzt auch (lediglich) investierende (nicht förderfähige) Mitglieder geben.
  • Die Satzung kann ein Mindestkapital vorsehen.
  • Es wurden Sonderregelungen für die „kleine Genossenschaft“ (bis zu 20 Mitglieder) eingeführt; Kleine Genossenschaften brauchen nur 1 Vorstandsmitglied, statt sonst zwei, und auf den Aufsichtsrat kann verzichtet werden.
  • Für kleine Genossenschaften mit einer Bilanzsumme von bis zu einer Million Euro gibt es Prüfungserleichterungen.
  • Für die Einzahlung von Genossenschaftsanteilen beträgt die Verjährungsfrist jetzt 10 Jahre.

Nach einigen vereinzelnden Änderungen in den letzten Jahren trat nun am 22.07.2017 das „Gesetz zum Bürokratieabbau und zur Förderung der Transparenz bei Genossenschaften“ vom 17.07.2017 (BGBl. Teil I Nr.48 vom 21.07.2017 S. 2434) in Kraft. Mit der GenG-Novelle 2017  wurde das Genossenschaftsrecht an einigen Stellen an die Bedürfnisse der Praxis und des elektronischen Zeitalters angepasst.

Als wesentliche Neuerungen der GenG-Novelle 2017 sind hervorzuheben:

  • Für Einladungen zur Generalversammlung (GV) / Vertreterversammlung (VV) durch unmittelbare Benachrichtigung wurde klargestellt, dass Textform (§ 126 b BGB) notwendig und ausreichend ist (§ 6 Abs. 4 GenG).
  • Als öffentliches Blatt für Bekanntmachungen der Genossenschaft kann die Satzung nun auch öffentlich zugängliche, elektronische Informationsmedien (z.B. elektronischer Bundesanzeiger oder die eigene Internetseite) bestimmen (§ 6 Abs. 5 GenG). Die Veröffentlichung der Einladung zur Generalversammlung im elektronischen Bundesanzeiger oder im Internet reicht aber (weiterhin) nicht aus (§ 6 Abs. 4 GenG).
  • Zur Steigerung der Transparenz und Information der Mitglieder müssen Beitrittserklärungen zusätzliche Hinweise (z.B. auf Eintrittsgelder (Agio), laufende Beiträge, Kündigungsfristen von mehr als einem Jahr) enthalten.
  • Konkrete Investitionsvorhaben können über Mitgliederdarlehen finanziert werden.
  • Die Größenklassen für die Prüfungsbefreiungen wurden angehoben; für Kleingenossenschaften wird eine vereinfachte Prüfung eingeführt.

Die Einzelnen Änderungen und Ergänzungen sind auf der Seite GenG-Novelle 2017 ausführlich dargestellt.

Die Genossenschaft ist grundsätzlich in der Mitgliederzahl offen, d.h. Mitglieder können – ähnlich wie in einem Verein – der Genossenschaft relativ einfach beitreten und wieder austreten. Über die Zulassung des Beitritts entscheidet i.d.R. der Vorstand der Genossenschaft. Bei Eintritt in die Genossenschaft übernehmen die Mitglieder eine in der Satzung festgelegte Einlageverpflichtung. Bei Austritt erhalten Sie diese Einlage (soweit noch vorhanden) wieder ausbezahlt. An den Rücklagen und stillen Reserven werden die Mitglieder grundsätzlich nicht beteiligt. Zudem ist ein Austritt immer nur zum Ende eines Geschäftsjahres möglich. Dieser einfache Ein- und Austritt stellt einen erheblichen Vorteil gegenüber anderen Gesellschaftsformen, insbesondere der GmbH oder GmbH & Co. KG dar. Eine Generationennachfolge kann so ohne wesentliche Substanzverluste erfolgen. Die Substanz des Unternehmens bleibt so auf Dauer und über Generationen hinweg dem Unternehmen zum Erreichen seiner Zwecke erhalten. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass sich die Rechtsform der Genossenschaft dadurch zum Zweck der Kapital- und Gewinnmaximierung ihrer Mitglieder nicht optimal eignet. Wer auf Wertsteigerungen im Unternehmenswert spekuliert und an diesen beteiligt sein will, muss in der Regel auf andere Rechtsformen ausweichen oder diese mit der eG geschickt kombinieren.

Oberstes Organ der Genossenschaft ist die Mitgliederversammlung, die bei mehr als 1500 Mitgliedern auch in Form einer Vertreterversammlung bestehen kann. Es gilt der Grundsatz – unabhängig von der Höhe der Beteiligung – „Ein Kopf, eine Stimme“. Mehrstimmrechte sind unter bestimmten Voraussetzungen und in begrenztem Umfang möglich. Zudem verfügt die Genossenschaft über einen mindestens zweiköpfigen Vorstand und einen Aufsichtsrat, dem mindestens drei Mitglieder angehören müssen. Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder müssen Mitglied der eG oder Vertreter eines Mitglieds sein (Grundsatz der Selbstorganschaft). Rechte und Pflichten des Vorstands und des Aufsichtsrats ähneln denen bei der Aktiengesellschaft. Bei Genossenschaften mit nicht mehr als 20 Mitgliedern (sog. „kleine Genossenschaft“) kann auf den Aufsichtsrat verzichtet werden und der Vorstand darf auch nur aus einem Vorstandsmitglied bestehen. Die Kontrolle des Vorstands wird dann durch die Mitgliederversammlung selbst ausgeübt. Die Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden übernimmt in weiten Teilen in diesem Fall ein von der Mitgliederversammlung gewählter Bevollmächtigter.

Genossenschaften haben sich in der Praxis als relativ insolvenzsicher erwiesen. Die Insolvenzrate eingetragener Genossenschaften beträgt regelmäßig deutlich unter 1 Prozent, häufig auch nur 0,1 Prozent. Dies liegt zum einen sicherlich an der nicht so großen Anzahl von Genossenschaften im Vergleich zu anderen Rechtsformen, zum anderen aber auch an der Pflichtmitgliedschaft bei einem genossenschaftlichen Prüfungsverband. Diese haben nicht nur Kontroll- und Prüffunktion, sondern übernehmen auch Beratungsaufgaben und dienen dem Wissens- und Erfahrungsaustausch.

Das Genossenschaftsrecht gehört zu einer meiner Kernkompetenzen. Als Syndikusanwalt in einem Genossenschaftsverband habe ich fast 15 Jahre lang federführend Genossenschaften und ihre Vorstände und Aufsichtsräte in allen wirtschaftsrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Themen (Gründung, Satzungsänderungen, Umwandlungen, Verschmelzungen, etc.) gerichtlich und außergerichtlich beraten und vertreten, Organsitzungen rechtlich begleitet und Mitgliederversammlungen geleitet. In Arbeitskreisen der Dachverbände habe ich an den Mustersatzungen und Musterverträgen mitgearbeitet und über genossenschaftliche Bildungseinrichtungen zu diesen Themen geschult. Die Belange einer Genossenschaft und ihrer Mitglieder sind mir sehr gut vertraut.